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  „Der Papagei und die Meerjungfrau“

 

                                                                               Ein Märchen

 

                                       (inspiriert durch den fantastischen Scherenschnitt von Henri Matisse)

 

Es war einmal vor langer Zeit, als das Meervolk noch in der Überzahl in den Ozeanen lebte, eine kleine Meerjungfrau. Sie schwamm den ganzen Tag, getrieben von unbändiger Neugier, durch das Meer. Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern.

Eines herrlichen Tages, während sie sich wieder einmal trotz Verbots an der Wasseroberfläche treiben ließ, um die Wolken ziehen zu sehen, begegnete sie einem Papagei. Sie war von dessen Erscheinung fasziniert, fühlte sich von ihm angezogen. Die Beiden mochten einander sehr und beschlossen daher, die Unterwasserwelt gemeinsam zu erkunden. Der Papagei war verzaubert von der Schönheit, die ihm das Meer bot. Sie bewunderten Korallenriffe und durchschwammen dunkle, tiefe Höhlen, ohne Furcht und Zögern. Die Meerjungfrau zeigte ihm bisher unbekannte Lebewesen und zahlreiche Fischschwärme, die, so glaubte der Papagei, wie zu einer stillen Melodie durch das Wasser tanzten. Er fühlte sich so eigenartiger, etwas schwindeliger und doch voller Kraft. Sie genossen die gemeinsame Zeit, Momente voller Glück. Doch als aus der Tiefe des Meeres ein riesiger Hai den wehrlosen Papagei angriff und die Meerjungfrau ihren Freund im letzten Moment zur Rettung verhalf, mussten beide feststellen, dass der weite Ozean für einen Papagei nicht das Richtige war.

So flog der Papagei hoch in den Himmel zu den schneeweißen Wolken, während die Meerjungfrau ihm sehnsüchtig nachsah. Doch auch sein Herz wog schwer und es überkam ihm eine tiefe Traurigkeit. Er hatte kaum noch Kraft zum Fliegen und seine Gedanken waren nur bei der kleinen Meerjungfrau. Die Liebe macht das Herz so schwer, nur die Liebe! Er beschloss umzukehren. All meine Geheimnisse will ich ihr erzählen, dachte der Papagei, während er das kraftvolle Meer unter sich erblickte. Ein Gefühl der Hoffnung umgab den Papagei. Er setzte sich auf den Felsen, an dem sie sich zum Sonnenaufgang des heutigen Tages zum ersten Mal begegnet waren. Die Sonne berührte bereits sanft das Meer und warf ein warmes farbenfrohes Licht über den Himmel und der Wasseroberfläche. Der Papagei blickte voller Zuversicht und Glück auf das atemberaubende Farbspiel. Das Meer war so still und ungewöhnlich vertraut. Doch so lange er auch auf den nun vor ihm ausgebreiteten, geheimnisvollen Spiegel blickte, die Meerjungfrau streckte ihren grazilen, weißen Hals nicht aus dem Meer. Er blieb, um auf sie zu warten.

Es verging Nacht um Nacht, Tag um Tag. Tobende Stürme und riesige Schiffe zogen an dem Papagei vorbei, sowie viele, unendlich scheinende Jahre. Er war schwach, alt und müde geworden, trug kaum noch eine seiner prächtigen Federn am Leib. Selbst wenn er hätte fliegen wollen, vermochte er es nun nicht mehr. So legte er sich, mit einem letzten Blick zum Meer, auf den rauen Felsen nieder um einzuschlafen.

Viele Jahre vergingen und die kleine Meerjungfrau, die lange Zeit durch die Ozeane gereist war, erhob ihren Kopf aus dem Wasser. Da erblickte sie in der Weite, auf einem Felsen liegend, etwas schimmernd Rotes. Ihre Neugier war noch immer ungebrochen. Sie schwamm auf den Felsen zu und griff mit ihren zarten, weißen Händen danach. Es war eine Feder, die Schönste die sie jemals gesehen hatte.

 

 

                                                                                                                                                                                Nadine Linke

                                                                                                                                                            

 

                    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es war einmal...